Dieses kurze Essay von Hans Jagnow, Präsident des ESBD, nimmt den Debattenbeitrag von Thorsten Unger auf GamesMarkt zum Anlass, um sich mit den zwei Kernpunkten in der Auseinandersetzung über eSport und der Gemeinnützigkeit intensiver zu beschäftigen: eSport im Sportbegriff und die kommerziellen Aspekte von eSport. Foto: Grzegorz Karkoszka / #gamesweekberlin.
Warum eSport als Sportart anerkannt werden sollte, ist aus den verbandlichen Gesichtspunkten inzwischen bekannt: rechtliche Gleichstellung mit anderen Sportarten, nachhaltige Förderung des Breitensports im eSport, internationale Strahlkraft im Leistungsbereich von eSport-Athleten und -Events und die Ausformung des Prozesses in einer Gesellschaft, in der eSport längst eine wichtige Rolle spielt – aber rechtlich nicht gleichgestellt ist. Der erste Schritt in diese Anerkennung ist die Integration in den staatlichen Sportbegriff; konkret: die steuerrechtliche Regelung zur Gemeinnützigkeit. Wie andere Sportarten auch gehört eSport unter die Begriffsauslegung des Begriffes „Sport“ in § 52 II Nr. 21 der Abgabenordnung. Nur dann ist ein weitergehender Prozess überhaupt möglich: die Gemeinnützigkeit ist formales Erfordernis in den jeweiligen Aufnahmeordnungen, um mit DOSB und den Landessportbünden über eine mögliche Integration überhaupt erst auf Augenhöhe reden zu können.
Vergessen wird dabei oft, was die Gemeinnützigkeit überhaupt ihrem Wesen nach ist – und was sie für Folgen hat. Das Wirken einer begünstigten Organisation ist als „Tätigkeit darauf gerichtet […], die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern.“ Hauptfälle dieser Einstufung sind eingetragene Vereine. Für sie sind die Folgen der Gemeinnützigkeit relevant – kommerzielle Unternehmungen profitieren aufgrund der Gewinnuntersagung nicht davon. Die Folgen einer Zuerkennung der Gemeinnützigkeit im sportlichen Bereich sind für die Vereine im eSport massiv: deutliche Entlastung der buchhalterischen Tätigkeiten, Attraktivität für Mitglieder und Kooperationen mit Partnern durch die Spendenfähigkeit, Zugriff auf kommunale Räume, nationale, europäische und internationale Projekt- und Austauscharbeit, Ehrenamtspauschale für die Menschen, die sich Woche um Woche engagiert in Training und Organisation einsetzen, … – die Liste ist lang. Die schon bestehende Arbeit im vereinsbasierten eSport überall in der Republik wird dadurch erleichtert. Unsicherheiten der Breitensportvereine, die den Einstieg in den eSport wagen wollen, werden abgebaut und es schafft Rechtssicherheit. Die Gewährung der Gemeinnützigkeit fördert eSport dort, wo bisher nur wenige hinschauen: in dem großen Graufeld zwischen Top-Events auf der einen Seite und der ad-hoc-Organisierung ohne tiefere soziale Bindung vor dem heimischen PC auf der anderen Seite.
Apologeten des reinen Sports wie Apologeten des freien Marktes bringen dabei die gleichen Argumente gegen den eSport in Stellung: einerseits sei eSport keine Sportart, weil die sporttheoretischen Anforderungen nicht erfüllt seien. Andererseits sei eSport ein Kind des Kapitalmarktes und, wahlweise, brauche keinen staatlichen Einfluss oder sei deswegen kommerzialisiert und damit verbrannt. Keines dieser Extreme nimmt zur Kenntnis, wie sich Sporttheorie und Sportökonomie. sowie der deutsche Umgang damit. in den letzten Jahren im Kern ausgestaltet. eSport erfüllt die Kriterien der Gemeinnützigkeit, weil es Sport ist und die wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben des Sports erfüllt und weiterentwickelt.
eSport ist Sport, weil er mit dem gesellschaftlichen Sportverständnis harmonisiert: Sport ist längst nicht mehr die anti-französische Leibesertüchtigung im Geheimbund, die Friedrich Ludwig Jahn im 19. Jahrhundert etablierte – auch wenn das den verschlossenen Charakter so mancher Sportfunktionäre erklären mag. Sport ist auch längst nicht mehr der Arbeitersport, der zur selbstbewussten Organisierung des Proletariats außerhalb der Fabriken beitrug. Sport ist – und dafür können wir dankbar sein – auch nicht mehr die Leibeserziehung des Nationalsozialismus und Träger vermeintlicher rassischer Überlegenheit. Sport ist vielmehr in der modernen Bürgergesellschaft ein hochkomplexes Konstrukt aus individueller Leistung, fairem Wettbewerb, begeistertem Freizeiterlebnis, nachhaltiger Wertvermittlung, zivilgesellschaftlicher Organisierung, internationalem Austausch und ja – manchmal auch negativen Auswüchsen. Wie unsere gesamte Gesellschaft ist Sport nicht mehr unterteilt in eng abgegrenzte Klassen und Schichten und Schubladen. Sport erfüllt viele gesellschaftliche Aufgaben. Sportunterricht in der Schule hat einen ganz anderen Fokus als es Amateursport im Verein oder Leistungssport im Olympiastützpunkt hat. Nicht alle Sportarten ertüchtigen den gesamten Körper, sondern fördern vielmehr die Perfektionierung individueller motorischer Abläufe. Wir haben Fitnesssport, Ballsport, Teamsport, Präzisionssport, … – und all diese Begriffe zeigen den jeweiligen Fokus. eSport harmonisiert mit dieser Systematik, es fasst verschiedene Kategorien in sich ein. Die übergreifende motorische Eigenleistung liegt in der Bedienung der Eingabegeräte mit Koordinationsfähigkeit und Reaktionsgeschwindigkeit. Einige Titel erfordern intensives Teamwork, um im sportlichen Wettbewerb zu bestehen. Und jedes absolvierte eSport-Spiel erfordert die Hingabe und den Siegeswillen, den wir bei allen Athleten auf dieser Welt finden. Damit überführt eSport die Grundprinzipien des Sports in eine Gesellschaft, die sich durch die digitale Umwälzung in ihrem Kern ständig verändert. eSport bleibt Sport – aber wir als Menschen verändern uns.
Auch die Einordnung von eSport in ein sportökonomisches System reizt mit Komplexität. eSport basiert auf Videospielen, also auf Produkten der Mediengesellschaft. Warum hier nicht steht: der Medienwirtschaft? eSport-Spiele haben sehr unterschiedliche Historien: Spiele wie Counter-Strike oder Dota entwickelten sich als Modifikationen von bestehenden Spieltiteln – getragen durch die Spielergemeinschaft um diese Spiele herum und Resultat einer übergreifenden Begeisterung aus der Community und nicht als geplantes Produkt der Hersteller. Manche sind nicht mal eine Dekade alt, andere können auf eine über zwanzigjährige Geschichte zurückblicken. Und dediziert als eSport-Titel entworfene Spiele sind keine automatisierten Erfolgsprojekte. Und sie sind auch nicht – wie einige Beobachter plakativ behaupten – allein von internationalen Schwergewichten der Games-Branche getragen. Das sympathische Rocket League ist dafür ein gutes Beispiel, entwickelt von einem verhältnismäßig kleinen Entwicklerstudio. Das alles zeigt: Letztendlich kommt es auf den Willen der Community an, ob ein Titel erfolgreich wird, und am Beispiel der FIFA-Reihe zeigt sich, dass sie hart mit den Entwicklern ins Gericht geht, wenn es um die Integrität von eSport geht. Für die steuerrechtliche Gemeinnützigkeit ist all das aber nicht relevant: kaum jemand kommt auf die Idee, Volleyball oder Tennis seine Gemeinnützigkeit absprechen zu wollen, weil sie eine indirekte Fördermaßnahme für die Netz- und Ballindustrie sein könnte. Und Erwägungen, die brancheninterne Konflikte in die Debatte über Gemeinnützigkeit der sportlichen Ausübung einpreisen wollen, sind schlichtweg sachfremd. Wir reden hier nicht über die Förderung von Games, wir reden über die Förderung von Menschen.
Klassenkampf am Beispiel von eSport führen zu wollen, ist deshalb eine schlechte Idee – wie kaum eine andere Entwicklung ist eSport ein Schaufenster in einen solidarischen Kulturbruch, der die Möglichkeiten einer kollaborativen und zusammenwirkenden Gesellschaft aufzeigt und sie von Anfang bis Ende durchspielt. Ein eSport-Spiel ist ohne seine Community keinen Cent wert – und die Community, die Athleten, die Fans übernehmen Verantwortung für ihr Spiel, partizipieren in Prozessen zur Stärkung, Weiterentwicklung und regelmäßigen Erneuerung. eSport ist keine Sportart, die einfach da ist und für immer gleich funktionieren wird. eSport besteht aus eng aufeinanderfolgenden Iterationen. Der konstanten Erneuerung. Das ist es, was dem eSport übergreifend inne liegt, seine generische Digitalität. eSport-Titel sind unglaublich diversifiziert und mehr als jede andere Ausformung von Videospielkultur von den Menschen von den Menschen abhängig, die sie spielen. eSport ist kein Klassenkampf, der nur Ausbeutung und Profit kennt. eSport ist ein Sportprozess, der alle mitnehmen kann und wird. Und damit die Zukunft nicht nur einer modernen Sportökonomie, sondern auch einer modernen Sportgesellschaft.
Damit sei ein erneuter Blick auf die gesetzliche Definition gestattet: die selbstlose Förderung der Allgemeinheit. Und darauf zielt eine Vereins- und Verbandsorganisierung von eSport ab. Es geht nicht um die Publisher, es geht nicht um Wirtschaftsbetriebe der Spitzenteams, es geht um die Menschen der eSport-Gemeinschaft und die, die dazu gehören wollen. Sie sind die Allgemeinheit, sie arbeiten selbstlos und ehrenamtlich in Vereinen an einer sportlichen Förderung im der deutschen Gesellschaft. Ihnen eröffnet die Gemeinnützigkeit den rechtlichen Rahmen dafür, die Basisorganisierung der Spielerinnen und Spieler in einen Rahmen zu gießen, der ihnen Stabilität und Gestaltungskraft gibt. Die Gemeinnützigkeit erlaubt den Athleten und dem organisierten eSport von Konsumenten zu Gestaltern zu werden. Sie erlaubt die tagtägliche Arbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen in den (e)Sportvereinen unter privilegierten Voraussetzungen und schafft eine Nachwuchsgeneration im eSport, die institutionalisiert die Kreativität, Kollaboration und Gestaltungsmacht vermittelt bekommt – und damit vom „digital native“ zum „digital citoyen“ wird. Schaffung von möglichst guten Rahmenbedingungen für eSport im Amateur- und Breitensportbereich – und darauf zielt die Gemeinnützigkeit ab – erlaubt dem eSport eine effektive Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung, die er aufgrund Reichweite und tiefen Integration in eine ganze Generation auch wahrnehmen muss.
Ein Schlusswort sei erlaubt: Wer Aktivitäten seiner Familie an der frischen Luft will, übernimmt Verantwortung und geht zusammen mit seinen Kindern vor die Tür, begleitet sie und schafft es vielleicht, mit spannenden digitalen Wissensangeboten und GPS- und AR-Apps die Begeisterung für die Natur und Umwelt zu wecken. Mit dem Sportbegriff hat der Populismus von „unseren Kinder an der frischen Luft“ aber nichts zu tun. Mit ihm diskreditiert man nicht nur eSport-Athleten und ihre sportlichen Aktivitäten unter Berücksichtigung von Integrität, Respekt, Fairness und Toleranz. Man verliert man auch den Anschluss an die Veränderung der Gesellschaft im digitalen Raum – und damit die Möglichkeit, unsere (Sport-)Welt auch im kommenden Jahrhundert noch mitgestalten zu können.